Öffentliche Stellungnahme vom Verein Palästinensischer und Jüdischer Akademiker*innen (PJA), Allianz für kritische und solidarische Wissenschaft (KriSol) und dem DAVO-GfW

zur Absage der LMU-Veranstaltung „The Targeting of the Palestinian Academia“

Die am 17.11.2025 erfolgte Absage der geplanten Vorlesung „The Targeting of the Palestinian Academia“ (28.11.2025) durch die Universitätsleitung der Ludwig-Maximilian- Universität München (LMU) ist ein schwerwiegender Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Wissenschaftsfreiheit. Diese Absage ist nicht nur ein Rückschlag für den akademischen Diskurs über die palästinensische Wissenschaft im Kontext schwerster Völkerrechtsverletzungen durch Israel, sie wirft zugleich fundamentale Fragen nach Wissenschaftsfreiheit, institutionellem Rassismus und dem universitären Selbstverständnis einer pluralistischen Hochschule auf.

 

Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit

Die LMU argumentiert, es habe „Zweifel“ am wissenschaftlichen Niveau der Veranstaltung gegeben. Diese Aussage wertet palästinensische Wissenschaftler*innen pauschal qua Herkunft ab, wie auch die LMU Hochschulangehörigen, die diesen Workshop organisierten. Es ist nicht Aufgabe der Hochschulleitung, das wissenschaftliche Niveau der von Wissenschaftler*innen ihrer Universität verantworteten Veranstaltungen zu bewerten. Die kritische Auseinandersetzung mit Inhalten erfolgt üblicherweise in Diskussionen während der
Veranstaltung oder in wissenschaftlichen Publikationen. Eine solche Auseinandersetzung wird durch die Absage der Veranstaltung unmöglich gemacht. Es entsteht der Eindruck, dass die Universität unbequemen Realitäten aus dem Weg gehen will und sich der Staatsräson beugt. Die Absage eines Workshops sendet das Signal, dass bestimmte Sichtweisen, Erfahrungen und
Wissensbestände – insbesondere palästinensische Perspektiven auf israelische Gewalt, Fremdherrschaft und akademische Verfolgung – nicht legitim sind. Damit wird nicht nur die akademische Autonomie untergraben, sondern auch der Grundgedanke einer Universität als
Raum offener und kritischer Meinungsbildung verletzt.

 

Scholasticide

Ein zentraler Teil der geplanten Veranstaltung war die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Scholasticide (die gezielte Zerstörung und Unterdrückung von Bildungseinrichtungen bzw. akademischem Leben). Dieser Begriff ist keine bloße Metapher, sondern ein realer Ausdruck der Gewalt, die Palästinenser*innen in der akademischen Welt widerfährt: Universitäten in Gaza, Bildungssysteme und akademische Strukturen sind zerstört und massiv beeinträchtigt durch Besatzung, finanzielle Beschränkungen, Zerstörung von Infrastruktur, Tötungen und Repression gegen Wissenschaftler*innen und Studierende. Die LMU verhindert durch die Absage, dass diese Perspektive in den deutschen wissenschaftlichen Diskurs eingebracht wird– aus Angst vor politischer Kritik. Das ist auch eine Verweigerung akademischer Verantwortung.

Antipalästinensischer Rassismus und politische Einflussnahme

Die Absage erfolgte keineswegs in einem Vakuum: Zuvor hatten sowohl das Netzwerk Jüdischer Hochschullehrer (NJH) und mehrere CSU-Politiker*innen öffentlich Kritik geübt, u. a. an eingeladenen palästinensischen Referent*innen. Derartiger politischer Druck auf eine
wissenschaftliche Einrichtung birgt die Gefahr, dass politische Macht über akademische Inhalte bestimmt. Das ist nicht mit dem Selbstverständnis einer unabhängigen Hochschule vereinbar. Darüber hinaus ist die Absage ein Symptom einer breiteren Tendenz: In Deutschland gibt es Berichte¹ über zunehmende Repressionen gegenüber palästinasolidarischen Stimmen in Universitäten. Die Entscheidung der LMU könnte somit als Ausdruck eines antipalästinensischen Rassismus verstanden werden, der systematisch kritische
palästinensische Wissenschaft marginalisiert. So wie die Universität keinen Raum für Antisemitismus bieten darf, so darf dort auch antipalästinensischer Rassismus keinen Platz haben.

 

Praktische Auswirkung

  • Signalwirkung: Die Absage sendet ein fatales Signal an Studierende, Wissenschaftler*innen und die interessierte Bevölkerung, die sich mit palästinensischen Realitäten auseinandersetzen – dass bestimmte Themen als „zu heikel“ gelten, um an deutschen Universitäten offen diskutiert zu werden.
  • Vertrauensverlust: Für Teile der akademischen Gemeinschaft, insbesondere für palästinensische Wissenschaftler*innen, aber auch international, kann das Vorgehen als Vertrauensbruch wahrgenommen werden: Eine Universität, die sich selbst als Ort des freien Denkens versteht, verweigert den Zugang für Stimmen, die auf Repression und Ungerechtigkeit hinweisen.
  • Langfristige Gefahr: Wenn Universitäten auf politischen Druck hin kontroverse, aber wissenschaftlich legitime Veranstaltungen absagen, wird die akademische Autonomie insgesamt geschwächt. Es verstärkt ein Klima der Selbstzensur: Lehrende und Forschende, die sich mit politisch akuten Themen beschäftigen, werden sich zu diesen zunehmend nicht mehr äußern oder Veranstaltungen planen.

Forderungen

Vor diesem Hintergrund fordern wir die LMU sowie die Leitung des Instituts für den Nahen und Mittleren Osten auf:

  1. Klare Rücknahme der Absage: Die LMU sollte die Entscheidung überdenken und die Veranstaltung mit palästinensischen Wissenschaftler*innen und Studierenden ermöglichen.
  2. Garantien für akademische Freiheit: Die Universitätsleitung ist grundrechtlich verpflichtet auch palästinensische Wissenschaft in Deutschland zu Wort kommen zu lassen.
  3. Schutz palästinensischer Stimmen: Die LMU sollte proaktiv sicherstellen, dass palästinensische Wissenschaftler*innen weder durch institutionellen Ausschluss noch durch politischen Druck diskriminiert werden.

 

Verein Palästinensischer und Jüdischer Akademiker *innen (PJA), https://pja-verein.de/
Allianz für kritische und solidarische Wissenschaft (KriSol), https://krisol-wissenschaft.org/
Gremium für Wissenschaftsfreiheit DAVO, https://davo1.de/de/home/gfw/

 

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